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JSJ in der Psychiatrie

Von Sandra Duboc, aus dem Französischen übersetzt von Catherine Dumesnil.

Dieser Bericht folgt auf einen vorausgegangenen ersten Artikel (siehe Main Central, Winter 2021, #111).  Ich möchte mich bei dieser Gelegenheit bei den Menschen bedanken, die mir positives und ermutigendes Feedback gegeben haben: es kam völlig unerwartet für mich.

Ich bin Krankenschwester in Frankreich in einer psychiatrischen Einrichtung, die ausschließlich auf Gefangene eingestellt ist, aus allen Altersstufen, allen Verbrechen/Vergehen und mit allen Pathologien. Ich bin im Staatsdienst und von daher kann es manchmal schwierig sein, eine Fortbildung vom Arbeitgeber finanziert zu bekommen, wegen verschiedener Gründe: Mangel an Mitteln, Mangel an Pflegepersonal … oder aber müssen wir mehrere Jahre abwarten, um Zugang zu bekommen zu den Kursen, die uns interessieren. Da Geduld nicht zu meinen besten Tugenden gehört, traf ich die Entscheidung, die Fortbildungskurse, an denen mir gelegen war, selber zu finanzieren und dafür meine Freizeit zu opfern.

Nachdem ich ein Zertifikat in Psycho-Kriminologie erhalten und dementsprechend sehr finstere Persönlichkeitsstrukturen studiert hatte, hatte ich einen starken Wunsch, mich dem Licht zuzuwenden. Und so erschien mir 2018 Jin Shin Jyutsu als vielversprechendste Wahl. Ich reiste nach Paris, um an Ioles Kurs teilzunehmen, sogar noch bevor ich einen Selbsthilfekurs absolviert hatte. Am Ende dieses 5-Tage-Kurses war es offensichtlich, dass mich Jin Shin Jyutsu nicht nur mit „einem Finger“, sondern mit der „ganzen Hand“ berührt hatte.

Zurück an der Arbeit, war ich fest entschlossen, JSJ nicht in der Psychiatrie anzuwenden und noch weniger mit psychotischen Patienten, weil ich Angst hatte vor ihren Reaktionen auf längeren physischen Kontakt. Ich wollte JSJ nur mit den Kollegen teilen.

Bis eines Tages …

Ein 27-jähriger Insasse mit der Diagnose Schizophrenie hatte solch gewaltige Anfälle, dass wir ihn täglich fesseln mussten, was in dem Vorgehen genauso gewalttätig war. Manchmal kam es vor, dass er mehrere Tage hintereinander unter Gewahrsam gehalten wurde. Er schrie dann Tag und Nacht, ohne Unterlass. Eines Nachmittags beobachtete ich den Patienten: ich sah seinen verspannten Körper, seine blockierten Schultern, seine zusammengebissenen Kiefergelenke. Offensichtlich nahm er eine aggressive Haltung an und ein Gewaltausbruch schien unaufhaltsam. Unsere Blicke begegneten sich und es war, als wolle er mir etwas sagen, oder bitte, ich solle zu ihm sprechen. Ich hatte das Gefühl, einen Hilferuf ausmachen zu können, als sagten seine Augen: „Bitte!“

Nach einigen Augenblicken – seine Augen hatten meine nicht mehr losgelassen – dachte ich: „Warum nicht?“ Also ging ich auf den Patienten zu und bot ihm eine JSJ-Sitzung an, die er bereitwillig annahm. Ich fühlte keinerlei aggressive Tendenzen mir gegenüber, war mir aber darüber im Klaren, dass ich mich auch irren könnte. Da ich wusste, wozu dieser Patient in der Lage war, dazu ein Gefangener ist und an einer ernsthaften mentalen Krankheit leidet, setzte ich meine Kollegen von meiner Annäherung in Kenntnis, so dass sie sich im Büro unmittelbar neben dem Behandlungsraum positionieren konnten, um für meine Sicherheit zu sorgen wenn das notwendig sein sollte.

Ich bat ihn, sich auf den Tisch legen, erlaubte mir einige Momente Zeit zum Nachzudenken und entschied, ihm den Strom zu geben, um seine SES 20, 21 und 22 zu öffnen.

Gleich beim ersten Schritt schloss der Patient die Augen. Ich ließ meine Hände sich mit dem Rhythmus der Gewebe bewegen, behielt aber die ganze Zeit über einen Zustand äußerster Wachsamkeit, wegen der oben erwähnten Gründe. Entspannung breitete sich im ganzen Raum aus, wo wir normalerweise nichts anderes tun als Medikation zu verabreichen, Bandagen zu erneuern, Injektionen zu geben…

Ich bat ihn das Bein aufzustellen, damit ich sein SES 5 erreichen konnte, was er tat, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich entschied mich, nur diesen Strom zu strömen als erste Sitzung. An dem Tag brauchten wir keine weiteren restriktiven Maßnahmen anzuwenden.

Am Tag darauf erklärte ich den Psychiatern die Situation. Sie reagierten auf seltsame Weise auf die Information. Jin Shin Jyutsu war für sie eine neue Terminologie, die Herangehensweise völlig neu in dieser Umgebung und die Psychiater waren verständlicherweise wegen meiner eigenen Sicherheit besorgt. Sie fragten nicht  danach, worin eine JSJ-Sitzung auf dem Tisch besteht, sondern kommentierten: „Hör zu, wir vertrauen Dir, mach was Du willst so wie es sich für Dich richtig anfühlt, aber bitte sei vorsichtig!“ Ich erwiderte: „OK, danke Ihnen.“ Noch am selben Nachmittag kam der Patient zu mir zurück und bat um eine weitere Sitzung! Ich kann euch versichern, dass meine Augen vor Staunen weit offen waren!

Da ich irgendwie unvorbereitet war und dazu blutige Anfängerin im Pulse-Hören, entschied ich mich für denselben Strom, um die SES 20, 21 und 22 zu öffnen. Der Patient legte sich hin und schloss sofort die Augen. Ich war überrascht, weil gerade als ich ihn bitten wollte, das Bein aufzustellen, er es spontan tat, als hätten wir beide zu gleicher Zeit gefühlt, dass es an der Zeit war, zum nächsten Schritt weiter zu gehen. Dann schloss ich die Sitzung ab und legte meine Hände auf seinen Kopf: der Patient nahm meine Hände und legte sie auf das SES 21: unglaublich!

Dieser Patient erhielt etliche Sitzungen während seiner Krankschreibung, die ziemlich lang andauerte. Ich erinnere mich noch an einen Satz, den er während einer Sitzung auf dem Tisch sagte: „O Scheiße, Sandra, schau mal wie weiß die Wände sind? Genauso wie die Spritzen-Galerie, wohin ich ging, wenn ich auf Droge war. Ich bin wie high, ich fühle mich so gut …“ Seit der ersten JSJ-Sitzung, die dieser Patient erhielt, bis zum Ende seiner Krankschreibung musste dieser Patient nie wieder gefesselt werden.

Obwohl ich zu Beginn fest entschlossen war, JSJ auf keinen Fall auf gefangene Patienten anzuwenden, scheint es mir jetzt, dass diese erste JSJ-Sitzung für mich mindestens ebenso wichtig war wie für ihn.

Es bedurfte nur eines einzigen Blickes, den ich mit diesem Patienten austauschte, um die Türen zu öffnen, die ich mir selber verschlossen hatte – ein einziger Blick, der schwerer wog, als unsere Schlüsselbunde!

Seitdem ist JSJ Teil unseres Lebens in der Abteilung, insbesondere während der Selbsthilfe-Kurse, die ich für das Wohlergehen der gefangenen Patienten abhalte. Und seither haben die Psychiater, auch wenn sie sich bis dato nicht durchgerungen haben, an einer der Tisch- oder Gruppensitzungen teilzunehmen, die offensichtlichen positiven Auswirkungen des JSJ anerkannt.

Und dennoch, trotz dieser schönen Entwicklung, zog ich vor einigen Monaten in Betracht, das JSJ gänzlich einzustellen, wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Pandemie. Diese Pandemie, die uns die Gesundheit raubt, das Leben raubt, die menschliche Wärme raubt, den menschlichen Kontakt und das Licht raubt. Ich war zuhause eingesperrt, während der Arbeit eingesperrt und immerzu eingesperrt, sogar wenn ich mich vor meinem Computer-Bildschirm befand, trotz der vielen JSJ-Kurse im Zoom und den We Are One-Meditationen, die uns angeboten wurden.

Am Ende fühlte ich mich um drei Jahre in meinem Leben zurückversetzt: zu jenem Punkt, wo ich auf der Suche nach Licht war. Ich tauschte mich darüber mit Freunden und einigen Menschen aus, die JSJ schon seit langem kennen: alle ermunterten mich, nicht aufzugeben. Einige Wochen darauf erfuhr ich, dass der 5-Tage-Kurs in der Schweiz für den September bestätigt wurde. Und die Luft wurde leichter.

Seitdem ist JSJ mit erneuerter Energie gewachsen und als offiziell anerkannte Aktivität in der Gefängnis-Psychiatrie anerkannt. So offiziell, dass der leitende Arzt der Psychiatrie darüber gesprochen hat mit der Leitung der psychiatrischen Einrichtung, die meine Praxis auch bestätigt. Das Hospital kann zwar meine Fortbildungen nicht finanzieren, weil JSJ (noch) nicht aufgeführt wird in dem Katalog für offizielle Fortbildungs-Organisationen. ABER von nun an zählen meine folgenden 5-Tage-Kurse als Arbeitszeit! Und das Hospital hat mir einen Wagen geliehen, damit ich an dem Kurs in der Schweiz teilnehmen kann (konnte?). Ich bin sehr glücklich, durchgehalten zu haben und jetzt Unterstützung zu erfahren.

Ich freue mich sehr, diese Siege mit euch teilen zu können, so unerwartet sie auch kamen. Und dann gibt es noch andere, wundervolle Geschichten, wunderbare Lichter … Wie ihr seht, freue ich mich darauf, euch wiederzusehen oder euch bei einem der zukünftigen JSJ-Kurse zu begegnen. Also, auf bald!

Sandra arbeitet als Krankenschwester in der Psychiatrie in Frankreich. Sie praktiziert Jin Shin Jyutsu und unterrichtet Selbsthilfe.

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